"Du" oder "Sie" in der Schule

RESPEKTVOLLES PÖBELN ODER LIEBEVOLLES "DU"

von Furrat Bahadori

„Du, Thomas, kannst Du mir das nochmal erklären?“
Was für uns nach Kindergarten klingt, ist Alltag in allen Schulstufen Spaniens: Lehrkräfte werden mit Vornamen und „Du“ angesprochen. Das war gelogen, die reden natürlich auf Spanisch und sagen „Tú“.

In Deutschland sind wir mutmaßlich anständiger, früher bekam man für’s Duzen von Lehrern noch das, was man verdient hat: Schläge! Überhaupt siezen wir Deutschen sehr gerne, auch im Alltag. Im Englischen geht das kaum, da gibt es nur „You“. Doch auf Hindi unterscheidet man sogar drei Ansprachen: Aap, Tum und Tu – in absteigender Höflichkeit. In Schweden wiederum sagt man „Hej“, egal ob zum Premierminister oder zur besten Freundin.
In der Schule ist glasklar: Lehrerinnen und Lehrer werden gesiezt. Manchmal mehr, manchmal weniger. Auf Gesamtschulen ist das Duzen teilweise Praxis. Manchmal beginnt das Siezen ab der ersten Klasse, manchmal ab der fünften. Außerdem gebe es laut einer Studie in Norddeutschland die Tendenz, öfter Lehrer zu duzen als in Süddeutschland. Ob das heißt, dass wir auch die entspanntere Hälfte Deutschlands sind, sei so dahingestellt, aber insgeheim wissen wir alle, dass es stimmt.
Aber warum eigentlich? Warum siezen wir Lehrer und stellen uns nicht die Frage, warum Norddeutschland möglicherweise die entspanntere Hälfte Deutschlands ist?. Strafbar ist das Duzen nicht direkt, aber eure Lehrkräfte werden es wahrscheinlich nicht mögen. Oder vielleicht doch? Wir vom Kaktus haben ein paar Lehrerinnen und Lehrer des LMGs dazu befragt: Die meisten äußerten sich klar gegen ein Duzen von Lehrkräften.
Als Begründung warum, nannten viele das Verhältnis zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. In der Schule vergeben die Lehrerinnen und Lehrer die Noten. Sollte aus dem Sie ein Du werden, könnten bei der Notenvergabe falsche Signale gesendet werden:
„Hey, wir sind doch Freunde, warum die schlechte Note?“
„Keine Freundschaft könnte deine Klausur ausgleichen, dafür bräuchte man Magie (oder Urkundenfälschung).“
Aus dem professionellen Verhältnis würde ein persönliches. Andere Argumente waren das Zerbröckeln der Schulhierarchie, die ähnliche hierarchische Struktur im Berufsleben (auf welches die Schule ja vorbereiten soll (Betonung auf soll) und, dass das Duzen von Lehrern etwas unnatürlich sei. Jedoch war auch einmal die Meinung vertreten, dass die Rollenverteilung in der Schule auch ohne das Sie für jeden und jede klar sei und er oder sie würde sich bereits mit Schülerinnen und Schülern duzen.
Zudem haben wir Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe sowie uns selbst, die Redaktion, nach Argumenten dafür und dagegen gefragt. Hier waren die Ansichten breiter gefächert: Einerseits siezen wir schon unsere ganze Schullaufbahn. Das unpersönliche Verhältnis durchs Siezen ist teilweise äußert erwünscht und beim Sie zu bleiben, störe eigentlich kaum jemanden. Das wohl am meisten genannte Argument: Ohne das Siezen mangele es Schülerinnen und Schülern an Respekt.
Es fallen auch viele Argumente, die für’s Duzen sprechen: Weniger Druck, ein angenehmeres Lernklima, mehr Spaß im Unterricht und mehr Sympathie für Lehrkräfte. Es würde auf Augenhöhe geredet werden, Lehrerinnen und Lehrer schauten nicht auf Schülerinnen und Schüler herab. Insgesamt wird die durch das Duzen gewonnene Atmosphäre positiv bewertet. Zuletzt: Der Respekt, der Lehrkräften erwiesen wird, komme nicht vom Siezen und fällt somit beim Duzen auch nicht weg.
Und nun? Das Duzen von Lehrerinnen und Lehrern ist uns fremd, natürlich ist es ungewohnt. Das gravierendste Problem scheint die Notenvergabe zu sein: Die Schülerin oder der Schüler könnten es persönlich nehmen, wenn sie oder er eine schlechte Note bekommt, da durchs Duzen ein freundschaftlicheres Verhältnis aufgebaut wird. Genau dieses Verhältnis ist jedoch meiner Meinung nach der stärkste Punkt für die Duzer: Schule würde angenehmer werden, wenn wir unsere Lehrkräfte duzen würden. Weniger Druck, mehr Spaß am Lernen. Ihr lest schon richtig: Spaß und Schule, beides zusammen. Verrückt. Oder hier, mein persönlicher Lieblingsvorschlag:
„Thomas, können Sie mir das nochmal erklären?“
Mit dem „Hamburger Sie“ spricht man Leute an, die zu nah zum Siezen und nicht nah genug zum Duzen sind. So sprechen Lehrer uns manchmal an – in der Oberstufe zumindest. Manche argumentieren damit, dass wir uns, wenn wir gesiezt werden, mehr fühlen wie Erwachsene und uns dann auch verhalten wie Erwachsene. Wie wäre es, wir drehten den Spieß einfach um?
„Frau Schilling, kannst du mir das nochmal erklären?“
Duzen, aber mit Nachnamen: Das „Münchner Du“. Vielleicht hat das Ganze eine ähnliche Wirkung wie das Hamburger Sie, also ein Verhältnis zwischen Gute-Freunde-Du und Ihre-Hoheit-Sie. Und obwohl das Münchner Du nicht aus Norddeutschland kommt, denke ich, wir könnten mal versuchen, Lehrkräfte damit anzusprechen. Ihre Reaktionen wären es wert und niemand müsste auf einmal Vornamen benutzen!

Fotos: National Cancer Institute auf unsplash.com

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