Eine Welle aus den USA

TRANSPHOBIE IN DER DEUTSCHEN POLITIK

von Nadja Brokmann

Wir schreiben den 5. Mai 2023. Der ehemalige Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer, steht mit der Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär und weiteren Politikern lächelnd neben dem Gouverneur Floridas, Ron DeSantis.

Etwas mehr als einen Monat später hängen in München Plakate der AfD mit der Aufschrift “Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten!”,  die zu einer Protestkundgebung gegen eine Vorlesung von Drag-Queens in der Münchner Stadtbibliothek einladen. Auf dem Plakat ist ein ängstliches Kind zu sehen, hinter dem eine fies lächelnde Drag-Queen steht und nach dem Kind greift. 
Gehen wir einmal zurück zu Andreas Scheuer und Ron DeSantis. Während Scheuer breit grinsend neben dem Gouverneur steht, liegt gerade bei DeSantis ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch. Die “Senate Bill 254: Treatments for Sex Reassignment” (Deutsch: “Gesetzesentwurf des Senats 254: Behandlungen zur Geschlechtsumwandlung”). DeSantis ratifiziert den Entwurf und er wird Gesetz, doch was bedeutet das nun für Transpersonen? Das Gesetz verbietet für Jugendliche unter 18 jegliche Art von Geschlechtsidentität bekräftigenden medizinischen Behandlungen und erlaubt es dem Bundesstaat, Eltern das Sorgerecht zu entziehen, sollten sie ihren Kindern solche Behandlungen ermöglichen oder dahingehend ein “Risiko” darstellen. Dabei zeigte bereits 2021 eine Studie, an der unter anderem die Harvard Medical School beteiligt war, dass hier spezifisch Geschlechtsidentität bekräftigende Operationen die Suizidalität um 44% verringern. Weitere Studien zeigten dazu, dass vor allem jugendliche Transpersonen unter Suizidalität leiden. Gesetze wie die Senate Bill 254 beschränken also genau die Gruppe an Menschen, die am meisten von jeglicher Art der Geschlechtsidentität bekräftigenden medizinischen Behandlungen profitieren würde. Um solche Legislative dennoch zu rechtfertigen, werden unter anderem Lobbyisten oder Gründer von Organisationen wie der non-profit Organisation “Society For Evidence-Based Gender Medicine (SEGM)” konsultiert und an den Gesetzesentwürfen beteiligt. Die SEGM als Beispiel fiel seit ihrer Gründung im Jahre 2020 schon dadurch auf, dass sie oft wissenschaftlich nicht unterstützte Hypothesen wie die “Rapid Onset Gender Dysphoria” (Deutsch:”plötzlich auftretende Geschlechtsdysphorie”) als vermeintliche Begründung in ihren pseudo-medizinischen Artikeln und Analysen anführen. Hierbei handelt es sich um Pathologisierung von Transgender-Personen. Trans zu sein wird als krankhafte Modeerscheinung stilisiert, die es zu beseitigen gilt. Dieses Beispiel alleine mag willkürlich erscheinen, jedoch illustriert es eine tieferliegende politische Strategie, bei der emotionale Rhetorik genutzt wird, um an Wählerstimmen zu gewinnen. Politiker bedienen sich immer mehr der Transphobie, um sie für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren. 
Um die Senate Bill 254 erneut als Beispiel zu nennen, können wir an ihr gut zwei spezifischen Strategien erkennen: Panikmache und biologischen Essentialismus. Beim biologischen Essentialismus wird davon ausgegangen, dass Geschlecht und Geschlechtsidentität ausschließlich durch biologische Merkmale definiert werden. Das Gesetz schränkt Jugendliche darin ein, ihre Geschlechtsidentität im vollem Umfang leben zu können, indem es auf vermeintlich starre biologische Kriterien besteht. Ein vermeintlicher Vorteil für Politiker und ihre Identitätspolitik: Hier werden nicht nur Transpersonen als unnatürlich und abweichend dargestellt, sondern gleichzeitig auch noch Geschlechterrollen gefestigt. Davon profitieren sie dann in vor allem konservativen Wählergruppen, die sich durch das Beibehalten von Traditionen gesichert und in ihrer Identität bestärkt fühlen. Weiter wird in den potenziellen Wählern eine Angst geschürt. Da von dem Gesetz nur Personen unter 18 und ihre Eltern betroffen sind, impliziert es, dass jemand Kindern schaden wolle und dass sich der Gouverneur und der Senat von Florida jetzt dafür einsetzten würden, dass das nicht mehr geschehen könne. Ein weiteres Beispiel für Panikmache ist die mittlerweile außer Kraft gesetzte House Bill 2 im Bundesstaat North Carolina aus dem Jahr 2016. Dieses Gesetz untersagte es lokalen Regierungen nicht nur, Antidiskriminierungsverordnungen zu erlassen, sondern zwang Transpersonen dazu, in staatlichen Einrichtungen, Schulen etc. Toiletten und Umkleideräume zu benutzen, die dem in ihrer Geburtsurkunde angegeben Geschlecht entsprachen und nicht ihrer Geschlechtsidentität. Unterstützer des Gesetzes, darunter auch der damalige Gouverneur North Carolinas, Pat McCory, stellten dieses Gesetz als eine Maßnahme der öffentlichen Sicherheit dar und behaupteten, dass die Erlaubnis für Transgender-Personen, Toiletten zu benutzten, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen, es Sexualstraftätern ermöglichen würde, diese Richtlinien auszunutzen, um vor allem Frauen und Mädchen Schaden zuzufügen. Hierbei werden nicht nur Transrechte sowie Transpersonen als eine Gefahr für die Allgemeinheit dargestellt, sondern sie werden in die gleiche Ecke wie Sexualstraftäter gestellt, was ebenfalls eine Strategie ist, in der Transphobie als Waffe eingesetzt wird, um in der konservativen Wählerschaft Stimmen zu gewinnen. Weiter werden hier auch oft Frauenrechte gegen die Rechte von Transpersonen ausgespielt. So als würde das eine bedingen, dass das andere nicht mehr möglich sei. Auch das angesprochene Plakat der AfD reiht sich hier ein. Ähnlich wie in den USA wird hier davor Angst gemacht, dass Drag-Queens und geschlechtsnonkonforme Personen im Allgemeinen unsere Kinder sexualisieren und für die LGBTQ+-Community rekrutieren möchten. Parteien wie die AfD sind Geschlechtsnonkonformität oft feindselig gegenüber eingestellt, da sie nicht in ihr Bild von Geschlechterrollen passen. 
Oft werden auch die Bemühungen, Rechte von Transpersonen zu fördern, als ideologischer Extremismus und als übergriffig geframed. Oft mit einbezogen wird, dass hierdurch die Rechte von Eltern untergraben würden. Ein Beispiel hierfür wäre die ebenfalls aus Florida stammende House Bill 1557. Sie wurde im Jahr 2022 erlassen und im April 2023 erweitert. Umgangssprachlich ist sie auch bekannt als die “Don’t say Gay”-Bill bekannt, da sie es verbietet, in egal welcher Klassenstufe in öffentlichen Schulen über das Thema LGBTQ+ zu informieren. Das Ziel sei es, den Eltern mehr Kontrolle darüber zu geben, was ihre Kinder zu sexueller und geschlechtlicher Orientierung lernen. Dieses Gesetz sorgt nicht nur dafür, dass Lehrer und Schüler auf Eierschalen tanzen müssen, sondern durch fehlende politisch unmotivierte Information kommt es immer mehr zu Stigmatisierung von Leuten, die sich in der LGBTQ+-Community wiederfinden. Ein Beispiel hierfür lässt sich ebenfalls auf dem Plakat der AfD finden: “Genderpropaganda verbieten!”. In dieser Debatte ging es um den sogenannten „Genderwahn“. Insbesondere in konservativen und rechtspopulistischen Kreisen sowie von einigen Medien wurde behauptet, dass die Förderung von Transrechten und die Anerkennung von Geschlechtsidentität jenseits der biologischen Zuordnung ideologisch motiviert seien und eine „Gender-Ideologie“ durchgesetzt werden solle. Diese Behauptung zielte darauf ab, Transrechte als Teil einer vermeintlich übergriffigen und ideologisch motivierten politischen Agenda darzustellen, die angeblich die Freiheit anderer Menschen untergrabe.

Alleine am Beispiel von diesem einem Plakat sehen wir also, wie sehr sich Parteien wie die AfD an Methoden aus dem US-amerikanischen Raum bedienen, auch beim Thema Transphobie. Sie haben dieselben Strategien angewandt, um z.B. das Gendern zu einem extrem polarisierenden Thema zu machen. Diese Thematik ist so stark in sich selbst verwoben, dass letztendlich alles auf einem einzigen Plakat wiederzufinden ist. Diese Taktiken gefährden akut die Rechte und Freiheiten von Transpersonen und erfordern eine entschiedene Solidarität für die Gleichberechtigung aller Geschlechtsidentitäten.

Fotos: Andreas Scheuer auf facebook, Mizra Plot und Ari Dinar auf unsplash.com

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