Kunst und Künstler

IST DAS KUNST UND KANN DAS WEG?

Künstler sind Menschen und Menschen sind die allerschlimmsten. Was sollen wir also machen, wenn ein Künstler durch abstoßendes Verhalten auffällt?

Eine häufige Aufforderung ist, dass man in der Lage sein muss, Kunst vom Künstler zu trennen, aber ergibt das Sinn? Gerade bei toten Künstlern ist es leicht zu vergessen, dass sie auch Menschen waren, deren Kunst nicht in einem Vakuum entstand, sondern von ihrer Umgebung und natürlich von ihnen selbst beeinflusst wurde.

Girl in Bath II ist auf den ersten Blick ein ästhetisch ansprechendes Bild. Es handelt sich um einen Holzstich auf Papier von Eric Gill, welcher als einer der besten handwerklichen Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts gilt. Gill war aber nicht nur Künstler, sondern ein Mann, der eine inzestuöse Beziehung mit mindestens einer seiner Schwestern führte und zwei seiner Töchter sowie einen Hund sexuell missbrauchte. Auf Girl in Bath II ist eine dieser Töchter, Petra Tegetmeier abgebildet.
Ich kann und möchte auch niemandem vorgeben, dass es unmöglich ist, Girl in Bath II zu mögen, ob man etwas als schön empfindet, ist immerhin persönlich. Mit dem Hintergrundwissen fällt es zumindest mir schwer, irgendwas Ansprechendes an dem Bild zu finden. Girl in Bath II ist nicht nur ein Produkt des Missbrauchs, sondern auch ein Produkt, welches diesen zelebriert. Obwohl Gill und Petra tot sind, kann man das Werk nicht vom Künstler trennen.

„Seahorses in Morecambe“ besteht aus zwei Staturen über dem Eingang des Midland Hotels in Morecambe und wurde von Eric Gill und Donald Potter, Gills Assistenten aus Portland-Stein, geschnitzt. „Seahorses in Morecambe“ ist längst nicht so perfide wie „Girl in Bath II“, Gill war ein furchtbarer Mensch, aber irgendwo bleiben es einfach Seepferdchen. Zudem ist Gill nicht der alleinige Schöpfer der Statuen, Assistenen wie Portland spielten in der Erstellung seiner Werke eine große Rolle. Portland war selbst ein großartiger Künstler und in jedem Fall ein besserer Mensch als Gill, dennoch hat er es nie ganz geschafft, aus Gills Schatten zu springen. In seinem eigenen Nachruf im Guardian fällt sein Name nur knapp öfter als Gills. Man kann Gill den Künstler nicht von Gill dem Mann trennen, doch was ist mit Donald Potter und Joseph Cribb und John Skelton? Werke, die Gill zugeschrieben sind, waren in Wahrheit häufig Gruppenarbeiten. Laut Gills Bruder, Evan Gill, ist die Trennung des Werks von Gill und dem seiner Assistenten nicht möglich oder erstrebenswert. Müssen wir ihr Werk mit Gills verbannen?
Es ist verständlich, dass viele Menschen nicht Werke von kontroversen Künstlern konsumieren möchten, besonders weil einige von ihnen noch leben und direkt von diesem Konsum profitieren könnten, kaum jemand will Gills Nacktbilder von missbrauchten 16-jährigen im Wohnzimmer hängen haben, aber zumindest unterstützt man dadurch Gill nicht direkt. Gills Taten sind nicht zu verzeihen, aber er und seine Opfer sind tot, und irgendwie macht es das einfacher, sie zu vergessen. Anders sieht es bei lebenden Künstlern aus: Wer Die Bill Cosby Show guckt, unterstützt einen verurteilten Vergewaltiger. Im Gegensatz zu Gills Werk, welches dank dem posthumen Aufdecken seiner Verbrechen verschont wurde, ist „Die Bill Cosby Show“ aus der Öffentlichkeit verschwunden. Gills Assistenten hatten den Rest ihres Lebens, um von ihrem gemeinsamen Werk zu profitieren und ein eigenes Vermächtnis aufzubauen. Für Cosbys Mitarbeiter gilt das vielleicht nicht, viele von ihnen waren wahrscheinlich von der Serie auch finanziell abhängig. Wenn wir als Gesellschaft das Werk mit dem Künstler aus der Öffentlichkeit verbannen wollen, was wir eventuell auch müssen, sollten wir uns zumindest bewusst sein, wen dies neben dem Urheber betrifft.

Fotos: Laura Adai und Amauri Mejia auf unsplash.com, Eric Gill, via Wikimedia Commons, John Lord, Flickr.com

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