Kinderarbeit in den USA

NACH DER SCHULE IN DEN SCHLACHTHOF

von Geeske Schaprian

Was seht ihr vor euren Augen, wenn ihr an Amerika denkt? Hollywood, große Stars und Luxus? Einen saftigen Hamburger aus einem Fastfood-Diner? Die sonnigen Strände Californiens? Oder vielleicht auch Süßigkeiten wie Hershey’s Schokolade?

Dies sehen wir alles wie selbstverständlich als typisch amerikanisch an, so wie es für uns selbstverständlich ist, dass wir in den Supermarkt gehen können, um Lebensmittel einzukaufen. Doch was denkt man wahrscheinlich auf keinen Fall über die USA? Na, eine Idee? Genau, dass Kinder dort als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Das Bild der Kinderarbeit vereinen wir eher mit Ländern wie Äthiopien, Pakistan oder Indien und nicht mit einem großen Industrieland wie den USA. Klar, dort gibt es sehr lasche Waffengesetze und auch noch die mittelalterliche Todesstrafe, aber erwartet man in genau diesem Land, das sogar in Kriegen als Verhandlungsvermittler hilft, ein ständiges Wachstum der Ausbeutung von Kindern als Arbeitskraft und sogar eine Lockerung der entsprechenden Schutzgesetze? Auf keinen Fall. Oder etwa doch?

Das Problem des Fachkräftemangels ist allseits bekannt, auch bei uns in Deutschland. Überall fehlen entsprechend ausgebildete Arbeitskräfte, wodurch Unterricht in den Schulen ausfällt, Plätze in Pflegeheimen immer knapper werden und auch Anträge noch langsamer bearbeitet werden, weil das Personal in der Verwaltung fehlt. In Deutschland versuchen die Arbeitgeber Jobs mit besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhne attraktiv zu machen. Zudem gibt es viele Projekte, durch die Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland gebracht werden und hier in den Alltag und den Arbeitsmarkt integriert werden. In den USA ist das Problem dasselbe, doch die Bekämpfung eine ganz andere: Statt zum Beispiel den Job attraktiver zu machen, setzten sie zum Teil darauf, Jugendliche früher in den Arbeitsmarkt zu integrieren. So wurden in mehreren US-Bundesstaaten die Arbeitsschutzgesetze für Jugendliche gelockert. So dürfen 14–15-Jährige in Iowa nun nach der Gesetzesänderung bis 21 Uhr arbeiten, in den Ferien sogar bis 23 Uhr, 16-17 Jährige dürfen wie Erwachsene arbeiten und behandelt werden. Bis zu der Gesetzesänderung durften Jugendliche nur in ungefährlichen Jobs wie im Supermarkt oder in der Eisdiele arbeiten, doch nun sollen sie auch in weitaus gefährlicheren Jobs wie auf Baustellen oder in Fabriken neben schnell rotierenden Maschinen arbeiten. Jugendliche, die keinerlei Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt haben, sollen nun also genauso lange wie Erwachsene in genau denselben, teilweise auch gefährlichen Jobs arbeiten dürfen? Sie haben keinerlei Anlaufstellen oder juristischen Beistand, der sie über ihre Rechte aufklärt oder sie vor der Ausbeutung schützt.

Dies ist nicht das einzige Problem, das es in den USA zum Thema Kinderarbeit gibt. Nicht nur diese Gesetzesänderung hat das Thema auf unser Radar gebracht, sondern auch die explosionsartig gestiegenen Zahlen von Kindern, die allein in die USA immigriert sind. Die New York Times hat im Februar 2023 zum Thema Immigrantenkinder und Kinderarbeit einen umfassenden Bericht veröffentlicht. Sie haben mit über 100 immigrierten Teenagern gesprochen, die in 20 verschiedenen Bundesstaaten der USA leben und arbeiten, recherchierten in Unterlagen von Gerichten und Inspektoren und führten Interviews mit mehr als hundert Anwälten, Sozialpädagogen und auch Strafvollzugsbeamten. Ihr Ergebnis war erschreckend: 130 000 Kinder seien laut vorliegenden Daten 2022 allein in den USA immigriert, dreimal so viele wie in den letzten fünf Jahren. Die meisten davon sollen aus Mittelamerika stammen und kommen in die USA, da es in ihren Heimatländern kaum eine Chance auf eine gute Zukunft gibt. Diese Kinder kommen keineswegs illegal und unentdeckt ins Land, es ist der Regierung der USA bekannt, dass sie ohne ihre Familie immigriert sind und sich auf dem Gebiet der USA befinden. Demnach ist es auch die Aufgabe des Gesundheitsministeriums, sicherzustellen, dass die Kinder und Jugendlichen an Sponsoren und Familien weitergeleitet werden, die sie in der Schule einschreiben, sich gut um sie kümmern und sie vor Ausbeutung schützen. Durch die enorm angestiegenen Einwanderungszahlen ist es dennoch dazu gekommen, dass die Kinder schneller als gewöhnlich „weitergereicht“ werden müssen und es existieren die Vorwürfe, dass die Sponsoren nicht genau genug geprüft wurden, es zu wenig Inspektoren gibt, um die Kinder langfristig im Auge zu behalten und dass zuständige Behörden wie die HHS den Kontakt zu 85 000, also zu rund einem Drittel der immigrierten Kindern, verloren hat.

Die über hundert Jugendlichen, die die Times besucht hat, berichteten von starker Erschöpfung, Stress und dadurch ausgelöste Krankheit. Teilweise arbeiten sie in 14-Stunden-Schichten und können am nächsten Tag vor Erschöpfung nicht zur Schule gehen, wie Oscar, ein Neuntklässler aus South Dakota, über seine Arbeit in einem Sägewerk berichtet. Andere gehen gar nicht zur Schule, sondern arbeiten stattdessen schon mit 14 Jahren oder suchen sich Jobs, die nach der Schule beginnen und arbeiten die Nacht durch. Die Jugendlichen sind allein und auf das Geld aus ihren Jobs angewiesen. Die meisten schicken Bargeld nach Hause, um ihre Familien zu unterstützen. Sie sind meist zudem auf Sponsoren angewiesen, die sie in den Schulen einschreiben, Essen und Unterhalt bezahlen. Meist schreiben diese Sponsoren ihnen Schulden an, die beglichen werden müssen oder locken die Jugendlichen in die USA, die dann feststellen, dass sie gar nicht erst in den Schulen eingeschrieben wurden.

Nicht nur die New York Times berichtete über diese erschreckende Entwicklung, sondern auch die NWZ oder die Tagesschau veröffentlichten Artikel über Kinderarbeit in den USA und die Schicksale verschiedener Migrationskinder. So habe ich von dem Schicksal von Mia erfahren. Sie ist 17 Jahre alt, arbeitet als immigrierter Teenager in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Colorado und wurde während einer ihrer Schichten von einem Traktor überfahren. Sie wurde zwar ins Krankenhaus gebracht und die Arztkosten wurden übernommen, aber der Unfall wurde weder gemeldet, noch bekam sie eine Entschädigung für die vielen Monate, die sie nicht gehen und arbeiten konnte. Der Vorfall wurde einfach unter den Teppich gekehrt und niemand kümmerte sich um Mia. So geht es vielen immigrierten Kindern und Jugendlichen, die zum Beispiel in kleinen Orten arbeiten oder keine Freunde und Familie haben. Niemand kennt die kleinen Orte oder die Jugendlichen, so fühlt sich auch niemand für die ungerechte Ausbeutung verantwortlich und tut dementsprechend nichts dagegen.

Nun, was denkt ihr jetzt so über die USA? Ein Traumland? Für manche Reiche vielleicht, aber nicht für diese Kinder und Jugendlichen. Die Gesetze wurden gelockert, was fragen lässt, was wohl noch so kommen mag.  Donald Trump setzte sich schon dafür ein, dass die Gesetze gegen Kinderarbeit so weit gelockert werden sollten, dass die Jugendlichen zum Beispiel auch Pestizide auf Feldern versprühen dürfen sollten. Was wohl, wenn er wiedergewählt wird? Auch ohne diese Zukunftsspekulation steht fest: In den USA gibt es einige Probleme wie unzureichende Schutzgesetze oder den ungenügenden Schutz eingewanderter Jugendliche, die den Grundstein für die Ausbeutung von Jugendlichen gelegt haben, ohne dass die meisten es mitbekommen haben.

Fotos: Barbara Jackson auf pixabay.com, USA Reiseblogger auf pixabay.com, Swapnil Bhagwat und Sha Ro auf unsplash.com

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