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IM WASSER SIND WIR SCHWERELOS

Wie so viele Autoren schreibt Tomasz Jedrowski in seinem Roman „Im Wasser sind wir schwerelos“ über die Liebe: Ein Thema, das sich mit fünf Buchstaben definieren lässt, aber jeder anders interpretiert.

Fotos: Nadine E. auf unsplash.com; thalia.de

Als Thema für einen Roman ist es inzwischen leider schon so banal geworden, dass ich Bücher, deren Klappentexten ich nichts weiter entnehmen kann als das Thema Liebe, häufig direkt wieder ins Regal wandern lasse. Die Liebesgeschichte zwischen Ludwik und Janusz jedoch hat mich ergriffen wie wenige zuvor.

Polen, 1980. Der 17-jährige Ludwik verlässt seine Mutter und Großmutter aus dem tristen Plattenbau im Westen Polens, um sein Studium zu beginnen. Im Rahmen des Studiums reist er mit einer Gruppe Mitstudenten auf eine Farm aufs Land, um dort bei der anstehenden Ernteperiode tatkräftig mitzuhelfen. In der großen Gruppe von Mitreisenden entwickelt er zu einer Person, abgesehen von seiner liberalen, emanzipierten Freundin Karolina, besondere Zuneigung: den attraktiven Janusz. Bevor Janusz und Ludwik ein erstes Gespräch geführt haben, findet Ludwik einen wichtigen Teil seiner Identität. Er ist sich bis dahin noch nicht sicher, ob ein Mensch überhaupt so fühlen kann, doch recht schnell ist er weiß er, dass das Gefühl, das Janusz ihn spüren lässt, Liebe ist. In den nächsten Wochen treffen Ludwik und Janusz immer wieder beim Schwimmen in einem nahegelegenen See zusammen. Janusz weiß bereits länger um seine romantischen Interessen, was zunächst einmal Zuversicht für die aufkeimende Romanze bedeutet. Nur hat Janusz nicht bloß sein sexuelles Interesse entdeckt, sondern eine Entscheidung dazu gefällt. Statt einem Leben für die Liebe wird er ein Leben für den Staat führen. Während Janusz fest entschlossen ist, der Beziehung zu Ludwik ein Ende zu setzten, schmiedet dieser einen Zukunftsplan für beide im Namen der Freiheit. Janusz bleibt seiner Überzeugung stets treu, weshalb Ludwik, früher als ihm lieb wäre, den politischen Gegebenheiten Polens in den 1980ern ins Auge sehen muss.

Im Vorwort des Romans teilt Tomasz Jedrowski mit seinen Leser*innen die siebenjährige Reise, die es zur Entstehen von „Im Wasser sind wir schwerelos“ brauchte. Es ist bisher die einzige Veröffentlichung des polnischstämmigen Autors. Wenngleich die Länge des Romans recht überschaubar ist, wird auf jeder der 220 Seiten die Mühe und Bedeutung, die Jedrowski seinem Debüt gewidmet hat, deutlich. In einigen Kritiken zu „Im Wasser sind wir schwerelos“ wird das Buch mit dem Oscar prämierten Film „Call me by your name“ aus dem Jahr 2017 verglichen, in dem der Jugendliche Elio im Sommerurlaub in Italien seine romantische Identität in der Liebe zum 24-jährigen Historiker Oliver findet. Auch ich fühlte mich beim Lesen mitunter sehr an „Call me by your name erinnert“, nicht jedoch wegen der inhaltlichen Parallelen zwischen beiden, sondern aufgrund der vitalen Atmosphäre. Mit beiden verbinde ich paradoxerweise weniger Visuelles als Gerüche und Geräusche: den erdigen Geruch von regionalem Gemüse, Frühlingsluft und klares Wasser. Was durch Bilder in einem Film vermittelt werden kann, beschreibt Tomasz Jedrowski detailverliebt in schönen Worten. Nicht zuletzt zu dem starken Eindruck, den der Roman bei mir hinterlassen hat, trägt die Perspektive bei, in der die Liebesgeschichte erzählt wird.
„Ich weiß nicht, ob ich möchte, dass du all das irgendwann liest, aber ich weiß, dass ich es aufschreiben muss.“ eröffnet die Lebens- und zugleich Liebesgeschichte von Ludwik. Er richtet seine Worte von Beginn an an Janusz; schon als die Geschichte in der Kindheit Ludwiks beginnt, lange Zeit vor der Begegnung mit Janusz, und ohne dass der Leser seine Figur kennt. In keinem Buch, das ich bis jetzt gelesen hatte, war dies der Fall, aber nicht nur das macht „Im Wasser sind wir schwerelos“ zu einem besonderen Buch! Mir wird der Roman in Erinnerung bleiben, und denjenigen, die ihn noch lesen, sicher auch.

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