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HAARE - SO VIELSEITIG WIE NOCH NIE
von Emma Riedel
Hin und wieder hört man aus dem Bekanntenkreis oder der Lokalpresse von Haarspenden. Sich die eigenen Haare für wohltätige Zwecke abschneiden zu lassen, scheint Vielen unnahbar. Hier möchte ich Euch gerne von meiner Haarspende berichten.
Für diejenigen, die ihre lange Haarpracht nur ungern hergeben möchten, stelle ich eine etwas unkonventionellere Methode vor, bei der kürzere Längen zum Spenden genügen.
Der Einfall, meine Haare zu spenden, kam mir recht spontan, ironischerweise wegen eines verschobenen Friseurtermins. Weil meine Harre noch in gesundem Zustand waren, und ich mir beim Friseur nur die Spitzen schneiden lassen wollte, ließ ich sie erst einmal weiterwachsen. Doch auch in den folgenden Wochen ergab sich kein passender Termin für mich. Währenddessen kam mir eines Abends die Idee in den Sinn, die abgeschnittenen Haare zu spenden. Übereifrig griff ich nach dem nächstbesten Maßband, um meine Haarlänge zu überprüfen. Die notwendige Mindestlänge von 30 Zentimetern hatte ich längst erreicht, 53 Zentimeter maß ich, um genau zu sein. Sonderlich begeistert war ich von der Haarlänge, die noch übrig bleiben würde, nicht. Aber ich gab mir einen Ruck: Wenn ich einem kranken Menschen ein Stück seines Selbstbewusstseins zurückschenken konnte, würde ich getrost auf ein paar Zentimeter Eitelkeit verzichten können. Dennoch beschloss ich, bis zum Winter zu warten, damit der Haarschnitt nicht allzu kurz ausfallen würde. Bis dahin würden meine Haare noch ein wenig an Länge gewinnen. Unterdessen informierte ich mich im Internet über die Vorgaben, die bei einer Haarspende eingehalten werden sollten:
Chemisch behandeltes Haar, wie dauerhaft geglättetes Haar oder eine Dauerwelle, sowie Dreadlocks können nicht gespendet werden.
Gefärbtes Haar wird nur von vereinzelten Organisationen und unter bestimmten Voraussetzungen angenommen. Hierfür ist eine Mindestlänge von 40 Zentimetern und besonders gesundem Haar erforderlich.
Die Mindestlänge für unbehandeltes Haar beträgt 30 Zentimeter.
Bis ich mich mit dem Thema Haarspenden für Echthaarperücken genauer auseinandergesetzt hatte, war ich immer der Annahme gewesen, dass aus den Haaren des Spenders eine ganze Perücke gefertigt würde. Tatsächlich werden für eine vollständige Echthaarperücke die gespendeten Haare von vier bis fünf Spendern benötigt, da der Zopf, der beim Friseur abgeschnitten wird, meist nicht vollständig zur Perücke verwertet wird. Jährlich werden in Deutschland etwa 500.000 Leute mit Krebs diagnostiziert. Gut 45% der Betroffenen sind weiblich, bei der Richtlinie von 500.000 Erkrankten ergibt sich somit ein Bedarf von 225.000 Perücken. In dieser Beispielrechnung gleiche ich die Frauen, die freiwillig auf eine Perücke verzichten, oder keine ausreichenden Zuschuss von der Krankenkasse erhalten, mit der geringeren Anzahl von Männern aus, die sich für eine Perücke entscheiden. Um den Bedarf an Echthaarperücken zu decken, bräuchte es also jährlich ungefähr eine Millionen Spender*innen.
Vor meinem Friseurtermin informierte ich mich über allerhand schulterlange Frisuren und fand schließlich eine, die ich mir gut vorstellen konnte zu tragen. Zunächst habe ich das Haareschneiden von Woche zu Woche prokrastiniert und haderte mir mir, ob ich mein Vorhaben wirklich umsetzen wollen würde. Eines Morgens sah ich mich mit meinen über 70 Zentimeter langen Haaren im Spiegel und war entschlossen: Das muss ab. Spontan entschied ich mich dazu, gleich am folgenden Wochenende den nächstbesten Friseur auszusuchen und meine Haare um 35 Zentimeter kürzen zu lassen. Einige kleine Vorbereitungen mussten dennoch getroffen werden. Vor dem Schnitt soll das Haar idealerweise gewaschen und zu einem Zopf geflochten sein. Nachdem die Friseurin mir meinen schulterlangen Haarschnitt verpasst hatte, fühlte ich mich ungewohnt, aber wohl.
Um die Haare final zu spenden, brauchte es noch eine passende Organisation. Im Internet finden sich sämtliche Vereine oder Selbstständige, die gespendete Zöpfe annehmen und daraus Echthaarperücken fertigen. Entschieden habe ich mich für haare-spenden. Die Mitarbeiter von haare-spenden verarbeiten die Spende zu Unikaten und verkaufen diese an Organisationen mit Bedarf an Echthaarperücken.
Die bekannteste Verwendung für gespendete Haare sind die oben genannten Echthaarperücken, die an Leute, die krankheitsbedingt Haarausfall erleben, überwiegend Krebspatient*innen, verkauft werden. Weitere Verwendungsmöglichkeiten sind leider eher unbekannt.
Haar hat die besondere Eigenschaft, Fett aufzusaugen. Das brachte den französischen Friseur Thierry Gras 2015 auf eine Idee. Tagtäglich entsorgte er Haufen von Haaren, kurz wie lang, brüchig ebenso wie gesund, koloriert oder natürlich, ohne den Schnitt weiterzuverwenden. Auch nach dem Schnitt eignet sich das Haar zum Aufsaugen von Fett und ist daher ideal, um einem großen Weltproblem entgegenzuwirken. Gemeinsam mit seinen Mitarbeiter*innen rief er die Organisation „Coiffeur Juste“ ins Leben und konzipierte eine Methode, die Haare für einen wohltätigen Zweck zu verwenden. Sie beschlossen, die Aufsaugfähigkeit des Haares gegen die Verschmutzung der Ozeane, aber auch kleinerer Gewässer wie Seen, zu nutzen. Zur Herstellung der Haarfilter werden alte Nylonstrümpfe mit dem Haar gestopft und ins Wasser gelassen. Dort ziehen die gefüllten Strümpfe ausgelaufenes Öl oder Benzin an und speichern es. Wenn die Filter nun aus dem Wasser gezogen werden, erfolgt eine gründliche Reinigung. Das Fett wird vom Haarfilter getrennt, anschließend kann der Filter bis zu acht Mal wiederverwendet werden. Der Effekt erstaunt: Ein Kilogramm Haar kann bis zu acht Kilogramm Fett aufsaugen. International kommen die Haarfilter durchaus zum Einsatz, wenn größere Mengen von Öl, Benzin oder anderen fettigen Verschmutzungen ins Meer ausgeschieden werden.
Fotos: Estefanie Ventura auf unsplash.com, Emma Riedel
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