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Mehr erfahrenNarges Mohammadi
EINE FRAU, DIE DEN GRÖßTEN TEIL IHRES LEBENS IM GEFÄNGNIS SAß
von Geeske Schaprian
Von einer kooperativen Partnerschaft über das Kopftuchgesetz und eine umstrittene Wahrung der Menschenrechte bis hin zu Rappern, die wegen Blasphemie, also der Verunglimpfung Gottes, zum Tode verurteilt werden: Aus dem Iran schlagen immer wieder unfassbare Nachrichten und Ereignisse ihre Wellen.
Obwohl der Iran Mitglied des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte ist, fehlt in diesem Land jegliche Spur von Menschenrechten. 19 600 Menschen wurden seit dem 16. September 2022, dem Todestag der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini, aufgrund verschiedener angeblicher Vergehen als politische Gefangene inhaftiert. Vielen von ihnen droht ein von Anfang an unseriöser Prozess, in dem sie das Urteil „Todesstrafe“ fürchten müssen. Und diese Befürchtung haben sie zu Recht: Im Jahre 2023 wurden 853 Menschen hingerichtet. Das Schlimmste ist, dass nicht nur diese 19 600 Menschen als politische Gefangene in den Gefängnissen Irans sitzen. Insgesamt sind es viel mehr, offizielle Zahlen über die genaue Anzahl an Gefangenen gibt es nicht.
Eine von eben diesen Inhaftierten ist seit etlichen Jahren die iranische Frauen- und Menschenrechtlerin Narges Mohammadi. Sie wurde 1972 in der Stadt Zandschan im Norden des Irans geboren, kritisierte bereits während ihres Physikstudiums als Journalistin die nicht vorhandenen Frauenrechte im Iran und wurde deshalb bereits mehrmals verhaftet. Von der Teilnahme an ihren gemeinschaftlichen Hobbys wurde sie als Folge ihrer politischen Meinung und Aktivität ausgeschlossen. Mit 26 Jahren wurde sie das erste Mal zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, aufgrund von Kritik am iranischen Staat. Trotz ihrer frühen und harten Kollision mit dem iranischen Staat schreckte sie nicht davor zurück, ihre politische Meinung weiterhin zu vertreten und sich für die vielen Menschen einzusetzen, die tagtäglich ohne jeglichen Schutz durch eine anerkannte menschliche Würde in Angst leben müssen. Doch dies blieb nicht ihre erste Verhaftung.
2010 wurde Narges Mohammadi aufgrund der Mitgliedschaft in einer iranischen Menschenrechtsorganisation namens DHRC verhaftet und wieder freigelassen, 2011 wegen „Handelns gegen die nationale Sicherheit“, Mitgliedschaft im DHRC und Propaganda gegen das Regime. 2012 wurde sie zu einer Haftstrafe von 11 Jahren verurteilt, die jedoch später auf sechs Jahre heruntergesetzt wurde. In den folgenden Jahren folgen weitere Freilassungen, Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte. Insgesamt wurde Narges Mohammadi zu 30 Jahren Haft verurteilt, wobei Sie lange nicht alle Jahre abgesessen hat. Vorzeitige Entlassungen aufgrund revidierter Urteile, eines kritischen gesundheitlichen Zustands oder gegen eine Kaution, die von den USA bezahlt wurde, ersparten ihr ein paar Jahre in Haft. Dennoch wird Sie immer und immer wieder für angebliche Verbrechen wie „Handeln und Kollusion gegen die nationale Sicherheit“, „Propaganda“ oder Mitgliedschaft in einer iranischen Menschenrechtsorganisation verhaftet. Kaum ist der eine Gerichtsprozess oder die andere Haftstrafe vorüber, folgt die nächste Anklage. Fast so, als sollte Narges Mohammadi, die öffentlich Kritik am iranischen Staat und dessen Vorgehen übt, nie wieder richtig frei sein. Laut den Reportern ohne Grenzen sei Mohammadi eine Gefangene, deren „Leben in besonderer Gefahr“ sei.
Trotz der ständigen Verhaftungen und des ungewissen Zustandes Narges Mohammadis während ihrer Gefängnisaufenthalte wird es nie still um sie. Sie findet immer einen Weg, für ihr erklärtes Lebensziel, die Durchsetzung und den Schutz der Menschenrechte, zu protestieren. In Freiheit hielt sie 2014 eine Rede am Grab von Sattar Behesti, einem iranischer Blogger, der in einem iranischen Gefängnis plötzlich verstorben war oder nahm 2021 an einer Gedenkfeier für einen getöteten Demonstranten teil. In Gefangenschaft tritt sie in den Hungerstreik, um gegen die unzureichende Versorgung mit medizinischen Mitteln zu protestieren oder organisiert Sitzblockaden mit anderen weiblichen politischen Gefangenen zum Protest gegen die Tötung und Inhaftierung von Demonstranten durch iranische Ordnungskräfte. Trotz ihrer Protestaktionen schreitet ihre Zeit in Haft nicht ohne Spuren an Narges Nohammadi vorbei: Sie und die anderen weiblichen Häftlinge sind regelmäßig Misshandlungen und sexuellen Übergriffen ausgeliefert, ohne auf eine langfristige Freilassung hoffen zu können. Zudem kommt hinzu, dass es kaum bis gar keine medizinische Versorgung der Gefangenen gibt- auch nicht für Narges Mohammadi, die seit 2010 unter einer epilepsieähnlichen Krankheit leidet und bereits aufgrund von erheblichen Herzproblemen aus dem Gefängnis heraus in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Im November 2024 wurde sie für gerade einmal drei Wochen freigelassen, um sich einen Tumor aus dem rechten Bein entfernen zu lassen.
Neben all dem steht ihre Familie, ihr Mann Taghi Rahmani, der selbst ungefähr 14 Jahre im Gefängnis verbracht hat und getrennt von seiner Frau mit den Kindern im Exil lebt, und ihre 17-jährigen Kinder Ali und Kiana, die mit der Ungewissheit leben müssen, ob und wann ihre Narges wieder freigelassen wird und nicht wissen, wie es ihr geht. Sie haben ihre Mutter seit ihrer Verhaftung im Jahre 2015 nicht mehr gesehen. Der iranische Staat verbietet Mohammadi Kontakt zu Verwandten, die nicht im Iran leben. Ein Zeugnis, welche Liebe sie ihrer abwesenden Mutter, Frau und Freundin entgegenbringen, ist ihre Anwesenheit bei der Preisverleihung des Friedensnobelpreises, der ihr 2023 für an Narges Mohammadi verliehen wurde. Sie selbst konnte nicht anwesend sein, der iranische Staat hielt sie weiterhin gefangen. Symbolisch für ihre Abwesenheit stand ein leerer Stuhl während der Zeremonie auf der Bühne. Stellvertretend für sie nahmen ihre Kinder den Preis für sie entgegen und verlasen eine Rede, die Narges Mohammadi im Gefängnis geschrieben hat und die in die Freiheit geschmuggelt wurde. So schrieb sie: „Ich bin euch allen dankbar und ermutige euch, das iranische Volk bis zum endgültigen Sieg zu unterstützen. Der Sieg ist nicht einfach, aber er ist sicher.“
Im Juni 2024 wurde Narges Mohammadi erneut zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, die sie aktuell absitzt. Trotz ihrer OP im November 2024 musste sie gegen ärztlichen Rat ins Gefängnis zurückkehren. Wie es momentan um ihre Gesundheit steht und ob sie im Juni 2025 wirklich freigelassen wird, ist unbekannt. Die letzte Nachricht, die von ihr aus dem Gefängnis drang, war die Ankündigung vom 02. Januar 2025, dass bald zwei Bücher veröffentlicht werde: Eine Autobiografie über ihre Erlebnisse im Gefängnis und ein Buch über Frauen, die aus politisch motivierten Gründen im Iran in Haft sitzen.
Jetzt, zu Ende dieses Artikels stellst du dir bestimmt die Frage, warum ich eigentlich diesen Artikel schreibe und dir erzähle, was in Narges Mohammadis Leben bis jetzt passiert ist. Die Antwort ist ganz einfach: Weil ich der Meinung bin, dass ein einminütiger Nachrichtenbericht zwischen Krieg und den andauernden Problemen der deutschen Politik nicht ausreicht, um das Leben solch einer inspirierenden Frau zusammenzufassen. Eine Viertelstunde Tagesschau reicht nun mal nicht aus, um alle Geschehnisse, die jeden Tag auf der Welt passieren, wiederzugeben. Selbst ein langer Zeitungsartikel reicht nicht aus. Zudem ist es meist mit den Nachrichtensendungen und dem menschlichen Gehirn so: Wenn etwas passiert, ist ein Thema oder ein Mensch topaktuell. Doch sobald einige Zeit vergeht, wird das Thema bereits von einigen anderen schlimmen Ereignissen überschattet. Auch das menschliche Gehirn hat neben dem alltäglichen Stress und sonstigen Problemen meist nicht genügend Kapazität, um sich all dieser Themen zu besinnen. Deshalb gibt es diesen Artikel über Narges Mohammadi. Eine Frau, die noch immer schwer krank im Gefängnis sitzt und nicht weiß, wann und ob sie es jemals wieder verlassen wird. Eine Frau, die ihre Kinder seit 10 Jahren nicht gesehen hat. Eine Frau, die wie Carl von Ossietzky unter der NS-Herrschaft im heutigen Iran nicht ihren eigenen Nobelpreis entgegennehmen durfte. Eine Frau, die sich nicht beugt.
Fotos: voiceofbelarus.org
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